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14.11.2018
Männer aus dem Meer
Christian Groger fand im Frühjahr 2018 im Spülsaum am Ostende auf Baltrum einen menschlichen Unterkieferknochen. Auf Spiekeroog war bereits vor zwei Jahren ein solcher Fund gemacht worden. Dank der Beharrlichkeit des ehemaligen Biologielehrers und mit Hilfe einiger Baltrumer Institutionen und Vereine haben die Fundstücke untersucht und datiert werden können. Das Spiekerooger Fundstück ist demnach 7.500 Jahre, der Baltrumer Knochen 5.500 Jahre alt. Am Montagvormittag wurden beide Exponate in der Ostfriesischen Landschaft zu Aurich offiziell der Öffentlichkeit vorgestellt.
Der Knochenfund von Baltrum sei ein großer Schritt, um die Geschichte der Besiedelung der Ostfriesischen Küste und darüber hinaus zu verstehen. Der Präsident der Ostfriesischen Landschaft in Aurich, Rico Mecklenburg sprach am Montagvormittag bei der offiziellen Präsentation von einer “große Sensation” und wies auf die Wichtigkeit der Relikte hin.
Der Landschaftsdirektor und Archäologe Dr. Rolf Bärenfänger schätzte sich ebenfalls froh, denn man sei auf Zuarbeit angewiesen. Er sprach ein Lob an den Finder Christian Groger aus, der ihn an den Esenser Wattführer Axel Heintze erinnere, der ebenfalls "archäologisch unterwegs" sei. Der Fund von Baltrum weise auf die Zeiten hin, als der Meeresspiegel deutlich niedriger war, in der Steinzeit rund 20 Meter, verriet er das Zeitfenster, in dem die beiden Fundstücke einzuordnen sind.
Für Christian Groger war es ein Zufallsfund: “Ich dachte erst, da liegt ein Stück Teerklumpen oder Tang, worunter Bernstein sein könnte”. Die Sonne schien, es herrschte starke Strömung. Groger sprach andere Spaziergänger am Ostende an, die den Fund bezeugen können. Mit dem Kieferstück in einer Plastiktüte ging er stracks zum Rathaus, wo er "erst als Spinner abgetan” worden sei. Doch Bürgermeister und Kurdirektor Berthold Tuitjer sei sofort interessiert gewesen, habe Fotos gemacht und Bilder zu den Zeitungen ans Festland und an die Ostfriesische Landschaft geschickt. Groger hofft aber trotz aller Sensation: "Der Kiefer soll kein Ötzi werden“. Bei einer künftigen Präsentation - zum Beispiel im Heimatmuseum von Baltrum - solle man immer bedenken, dass es um einen Menschen geht. Und: “Ich finde, man soll die Funde dort zeigen, wo sie herkommen."
Für Baltrums Bürgermeister Berthold Tuitjer ist es ein tolles Exponat und gehöre auf die Insel. Es könne schließlich auch in touristischer Hinsicht von Bedeutung sein. Und immerhin sei das Geld für die erste Erforschung auf Baltrum gesammelt worden. Wenn sogar beide Kiefer auf Baltrum ausgestellt werden könnten, hätte er nichts dagegen.
Auch für die Anthropologin Dr. Silke Grefen-Peters aus Braunschweig sind die beiden subfossilen Fundstücke etwas ganz Besonderes: “Ich habe erst mal die Luft angehalten. So was hatte ich noch nie auf dem Tisch“. Der Spiekeroog-Fund von 2016 deute auf einen "archaischen Menschen” hin. Beide Knochen seien fossiliert und deshalb sehr stabil. Sie seien für die Zukunft und für mögliche weitere Untersuchungen am besten kühl, trocken und dunkel zu lagern. Der Spiekerooger und der Baltrumer Unterkiefer seien ein “einzigartiges Ensemble” - Tendenz: Beides Männer. Beide mindestens 30 Jahre alt.
Dr. Jan Kegler, Archäologe der Ostfriesischen Landschaft, zeigte sich ebenso begeistert. Die Ergebnisse der C14-Untersuchung in Polen hätten ihn "umgehauen”. Die Funde zählten zu den ältesten Fossilien überhaupt, die jemals in Ostfriesland gefunden wurden, und sie erzählten von der Zeit eines Umbruchs: Um 5500 vor Christus (der Spiekerooger Kiefer) war es noch die Zeit der Jäger und Sammler - die Jungsteinzeit. Um 3500 (der Baltrumer Kiefer) spricht man von der Zeit des ersten bäuerlichen Lebens. Hinweise auf diese Trichterbecherkultur gab es an der gesamten Nordseeküste vor diesen beiden Funden nicht. Die Proben haben kaum Verschleißzeichen oder Abreibungsspuren: das bedeute, dass die Lagerstätte und der Fundort nicht weit voneinander entfernt liegen können, denn sonst hätten die Spuren der Nordsee wie zum Beispiel Pocken die fossilen Knochen angegriffen. Denkbar sei auch, dass es einen Bestattungskult gab, der der den Ort der Grabstätte und den Wohnort verwische.
In naher Zukunft soll es weitere Untersuchungen geben: Was haben die beiden gegessen? Der Sammler und Jäger Fisch und der Bauer Getreide? “Wir können das erste Mal einem steinzeitlichen Menschen ins Gesicht sehen!” Zwischen dem Spiekerooger und dem Baltrumer Fundstück liegen fast 2.000 Jahre: In dieser Zeit verschob sich die Küste weiter nach Norden. Beim Spiekerooger Fund war der Meeresspiegel etwa vier bis sechs Meter tiefer als beim Baltrumer Fund - und insgesamt 20 Meter tiefer als heute. Inseln wie unsere Ostfriesischen heute gab es in beiden Fällen noch nicht.
Warum hat man die Kiefer jetzt gefunden? Die Strömungsverhältnisse ändern sich, die Sonneneinstrahlung, das Wasser ist wärmer geworden...
Die Funde werden vorerst aufbewahrt und weiter untersucht - zum Beispiel nach Genmaterial.
Momentan sind die beiden Exponate als "Männer aus dem Meer" als Fundstücke des Monats in der Ostfriesischen Landschaft ausgestellt.
Autor: Sabine Hinrichs
Fotos: Heilwig Brings
Quelle: Hartmut Brings, Spiekerooger Inselbote / Ostfriesische Landschaft
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